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Einführung in die bretonische Sprache: Brezhoneg
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Bretonisch ist die einzige moderne keltische Sprache, die ihr Sprachgebiet auf dem
europäischen Festland besitzt. Die Urform von Brezhoneg wurde von keltischen Völkerstämmen
aus Britannien herübergebracht, welche sich zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert n. Chr.
vor den ständigen Angriffen der Angelsachsen aus dem Gebiet des heutigen Devon und Somerset
herüberretteten. Darüberhinaus wird angenommen, dass Reste der keltischen Traditionen der Gallier
noch in der bretonischen Kultur überlebt haben. Die Bretagne war über Jahrhunderte
ein selbständiges Königreich, bevor sie durch (erzwungene) Heirat an Frankreich fiel.
Vielleicht wirklich erstaunlich ist, das Bretonisch bis nach dem
2. Weltkrieg dominante Umgangssprache im Westen der Bretagne verblieb, obwohl der zentralistische
Staat seit der Französischen Revolution offen alle Regionalsprachen bekämpfte. Erst in den
vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der
Bretonischsprachigen von über einer Million auf etwa 250.000 gesunken.
Beginnend bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erwuchs eine Gegenbewegung in
der allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchstimmung jener Zeit, die sich neben der
Wiederentdeckung der bretonischen Musik und Kultur auch für die Sprache einsetzte. Aus
kleinen Anfängen erwuchsen starke (private) Bestrebungen, die Sprache insbesondere unter
Kindern wieder aufleben zu lassen. Vorschulgruppen und Grundschulen wurden gegründet mit langsam
steigender Tendenz. Dies jedoch alles gegen den entschiedenen Widerstand des französischen
Staates, der erst 1992 wieder in der Verfassung festschrieb: Die Sprache der Republik ist Französisch.
Sprachliches
Bretonisch gehört zum brythonischen Zweig der keltischen Sprachen und ist damit eng verwandt mit
dem Walisischen und insbesondere mit dem Kornischen. Obwohl es auf dem europäischen Festland
gesprochen wird, ist es linguistisch eine Form der "insel-keltischen" Sprachen. "Festland-Keltisch" wie
zum Beispiel die Sprache der Gallier war im Gefolge der römischen Besatzung und der
Völkerwanderungen bereits fast vollständig erloschen, als die Besiedlung der
armorikanischen Halbinsel durch brythonisch sprechende Kelten im 5. Jh. gerade begonnen hatte.
Die Kultur war bereits sehr etabliert und entwickelt, als die Bretonen erstmalig vereint unter Nominoe
im Jahre 845 die Franken in der Schlacht von Ballon besiegten. Dies belegt auch das älteste
erhaltene Manuskript in bretonischer Sprache aus dem späten 8. Jh. In der ganzen Zeit bis zur Französischen Revolution erfreute sich die bretonische Kultur einer gewissen Unabhängigkeit,
der Pariser Vorläufer des "Hoch-Französischen" blieb dem Adel und dem städtischen Bürgertum vorbehalten. Bereits im Jahre 1499 wurde das erste Bretonisch-Französisch-Lateinische Lexikon von Johan Lagadeuc herausgegeben. Die über tausend Jahre währende sprachliche Trennung zwischen dem Walisischen und Bretonischen hat überraschenderweise nicht verhindern können, dass sich große Gemeinsamkeiten erhalten haben. Lediglich die Fremdwörter wurden zumeist aus der englischen bzw. französischen Sprache entlehnt. Trotz der 1789 einsetzenden Feindseligkeiten des
französischen Zentralstaates gegenüber allen Regionalsprachen blieb die bretonische Kultur im ländlichen Raum sehr lebendig. Das 19. Jh. sah zum Beispiel die aufsehenerregende Veröffentlichung der Gedichtssammlung "Barzaz Breiz" von La Villemarqué. Ein großes Hindernis blieb aber die uneinheitliche Rechtschreibung in den vier Hauptdialekten. Erst 1908 konnte man sich auf eine gemeinsame Ortographie für die drei westlichen und nördlichen Dialekte (Kerneveg, Leoneg, Tregerieg) einigen. 1941 kam dann die Einbeziehung des Dialektes von Mor-bihan (Gwenedeg) hinzu. Diesem Umstand verdankt u.a. das "zh" wie in Breizh seine Existenz. Auch das 20. Jh. brachte sehr viele bedeutende Literaten hervor wie Kalloc'h, Abeozen und Angela Duval. Vielleicht war der große Ehrgeiz der
bretonischen Poeten auch zu einem Großteil aus der Energie zu erklären, wie sie gegen den mächtigen Strom der Kriegsereignisse und den nationalistischen Zeitgeist anzuschreiben versuchten.
Die Wahrnehmung weiter Teile europäischer Öffentlichkeit erreichte aber erst die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts populär werdende bretonische Musik mit Interpreten wie Alan Stivell.
Details zur Orthographie, Aussprache und anderen grammatikalischen Besonderheiten des Bretonischen sind (in englischer Sprache) sehr gut unter
Omniglot und
Wikipedia beschrieben. Die deutschsprachige Version von
Wikipedia ist nicht identisch und komplementär.
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"Bretonisch ist ein barbarisches Relikt aus einer anderen Zeit!"
Jules Ferry, Französischer Bildungsminister 1882
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Geschichte
Das bretonische Reich unter Nominoe umfasste im späten 9. Jh. nicht nur
die eigentlichen Siedlungsgebiete der brythonischsprachigen Kelten westlich einer Linie von Sant Malou (St. Malo) und Sant Nazer (St. Nazier), sondern auch die Gebiete um Naoned (Nantes) und Roazhon (Rennes), in denen traditionell das romanische Idiom des "Gallo" gesprochen wurde. Die Bretagne war demnach politisch ein mehrsprachiges Gebilde, dessen Verwaltungszentrum sehr bald in den Osten des Landes wanderte. Recht lange konnte sich die Bretagne selbständig gegen den fränkischen Gegner behaupten, bis das Land im Jahre 1532 durch (erzwungene) Heirat an Frankreich fiel. Trotzdem blieben der Bretagne und ihrer Kultur noch relativ viele Freiheiten. So hatte es bis 1789 ein (Adels-)Parlament und konnte über Steuern und Armee-Rekrutierung selbst entscheiden. Dies sollte sich mit der Revolution im fernen Paris drastisch ändern. Fortan regierte der Anspruch der Gleichheit und daraus folgerte aus Pariser Perspektive, dass alle Menschen auf dem Boden Frankreichs nur Französisch (der Pariser Provenienz) zu sprechen hätten. Diese Kunde setzte sich auf dem Lande jedoch langezeit kaum durch, solange es nicht lebensnotwendig wurde, auf Französisch zu parlieren. Auch in der dominierenden katholischen Kirche wurde das Bretonische ganz selbstverständlich verwendet. Um 1914 schätzt man, sprachen etwa 90 % aller Bewohner der westlichen Bretagne Bretonisch, etwa eine Million Menschen. 1945 waren es noch etwa 75 %. Damals hatten aber bereits die Erlebnisse der deutschen Okkupation, der Regentschaft der Vichy-Regierung nach 1941 und der Nachkriegsexzesse des französischen Staates tiefe Spuren hinterlassen. Eine kleine Minderheit der Bretonen hatten anfangs mit den Deutschen kooperiert, weil sie sich mehr kulturelle Freiheiten erhofften. In dieser Zeit gab es in der Tat die ersten bretonischen Radiosendungen. Die Kollaboration einiger weniger bot nach Kriegsende der Pariser Zentrale denn auch genügend Vorwände, um ein Exempel zu statuieren. Die wütenden Exzesse von Armee und Polizei wurden erst durch diplomatische Depeschen aus London und Dublin eingestellt. Einige führende Köpfe der bretonischen Bewegung flohen in dieser Zeit nach Irland, wo sie vor möglichen Todesurteilen sicher sein konnten. Dies alles hatte unter den normalen Bretonen traumatische Auswirkungen.
Die generationenübergreifende
Vermittlung der Sprache war denn auch in der Nachkriegszeit fast vollständig zusammengebrochen. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war das Ansehen der eigenen Sprache in den Augen vieler Bretonen auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Man sprach ihr die Zukunftsfähigkeit ab: "Die Sprache ist gerade noch gut genug, um mit den Schweinen zu reden."
Einen Stimmungsumschwung brachte erst die jugendliche Protestbewegung der 70er Jahre, die sich in der Bretagne weniger gegen einen abstrakten Kapitalismus, sondern gegen die alltäglich erfahrene Diskriminierung durch den französischen Zentralstaat richtete. Aus dieser neuen Generation erwuchsen denn auch die ersten Bestrebungen, Bretonisch ins öffentliche Leben und in das Bildungswesen einzubringen. Gerade erst seit 1951 war es überhaupt erst erlaubt worden, Bretonisch als Fremdsprache zu lehren (wenn genügend Schüler vorhanden waren und Lehrer willens etc.). Vorher war es schlicht VERBOTEN! Auch war es erst spät ab 1966 (!) ERLAUBT worden, seinen Kindern bretonische Vornamen zu geben. Im Jahre 1976 wurde der erste bretonischsprachige Kindergarten durch die Organisation Diwan gegründet. Etwas später folgten die ersten Grundschulen von Diwan, die jedoch ständig mit Finanzierungsproblemen und der Nichtanerkennung durch französische Staatsorgane zu kämpfen hatte. Das Wachstum der bretonischsprachigen Ausbildung wurde durch den Widerstand aus Paris stark gehemmt, aber nicht verhindert. Neben Diwan wurden auch nach und nach zweisprachige Schulen im öffentlichen Sektor (Div Yezh) und in katholischer Trägerschaft (Dihun) zugelassen. Die Position der regionalen Körperschaften und Kommunen gegenüber der bretonischen Sprache verbesserte sich Ende des 20. Jahrhunderts zusehends, zweisprachige Ortsschilder und das fast allgegenwärtige Banner des "Gwennhadu" geraten hier zum demonstrativen Protest gegenüber der französischen Zentralgewalt. Diese sah sich bisher nicht in der Lage, die 1993 vom Europarat beschlossene Charta für Regional- und Minderheitssprachen zu ratifizieren. Im Gegenteil, ohne Not wurde in die neue Verfassung von 1992 der Passus aufgenommen: "Die Sprache der Republik ist Französisch"!
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"Il est interdit de parler breton et de cracher par terre."
"Es ist verboten Bretonisch zu sprechen und auf den Boden zu spucken."
(Hinweistafel in einem bretonischen Rathaus, um 1900)
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Gegenwart
Exakte Informationen über die heutige Zahl der Bretonischsprechenden gibt es nicht. Der französische Staat war bisher nicht sehr daran interessiert zu erfahren, wie viele seiner Bürger eine Regionalsprache beherrschen. Die Mehrheit der Bretonischsprachigen soll jedoch über 60 Jahre alt sein. So ist die Hoffnung auf eine starke Ausweitung der bretonischsprachigen Ausbildung von Vorschulgruppen bis zur Universität gerichtet. Dies wäre ein großer Fortschritt. Im Schuljahr 2004/2005 besuchte gerade 2% der bretonischen Grundschüler eine der drei zweisprachigen Schulformen - das Angebot kann schon lange nicht mehr mit dem wachsenden Interesse der Eltern mithalten. Diplomatisch ausgedrückt hält sich die Unterstützung des Staates noch immer in engen Grenzen. Noch immer ist es praktisch unmöglich (offiziell sogar verboten) Bretonisch vor Gericht oder im Vertragswesen zu verwenden. Die Präsenz der Sprache im Radio steigt langsam an, im staatlichen Fernsehen gibt es etwa eine Stunde (pro Woche!) Angebote in bretonischer Sprache. Die kürzlich aus der Taufe gehobene private Fernsehstation "TV Breizh" musste sehr schnell aus finanziellen Gründen ihr Programm auf überwiegend französischsprachige Sendungen umstellen. Der traditionelle Publikationssektor ist dagegen nach wie vor sehr rege, es gibt einen steten Fluss neuer Bücher und Magazine. Ausserdem haben die Bretonen die neuen Medien sehr schnell für sich erobert und damit u.a. erreicht, mit den vielen Exil-Bretonen in aller Welt in engen Kontakt zu treten. Insgesamt gesehen kann man positiv konstatieren, das Brezhoneg heute in der Generation unter 40 Jahren lebendiger ist als fast über ein halbes Jahrhundert zuvor.
Departamant (Verwaltungsdistrikt)
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Skolioù (Grundschulen mit bretonischsprachigem Unterricht)
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Diwan
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Div Yezh
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Dihun
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Pen ar Bed (Finistére)
Aodoù an Arvor (Côtes-du-Nord)
Mor-bihan (Morbihan)
Il-ha-Gwilhen (Ile et Vilaine)
Liger Atlantel (Loire Atlantique)
Breizh (Bretagne)
Schülerzahl
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15 7 6 1 3 32 2.943
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27 12 16 5 1 61 4,264
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23 5 32 3 1 64 3.883
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Brezhoneg: Anzahl der bretonisch- (Diwan) bzw. zweisprachigen Grundschulen in 2006/2007
- eine entsprechende Karte kann
hier
(Dateigröße: 953 KB) heruntergeladen werden.
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Zukunft
Sehr viel wird derzeit über das demographische Damoklesschwert geschrieben und diskutiert, was nach dem Verschwinden der Vorkriegsgeneration mit der Sprache geschehen wird. Festzuhalten ist allerdings, dass es bereits jetzt eine sehr lebendige junge Sprachgemeinschaft gibt, die alles daransetzt, Brezhoneg wieder zum Aufschwung zu verhelfen. Der Trend in der Schulszene scheint derzeit steil bergauf zu gehen - innerhalb der letzten vier Jahre (2002-2006) stieg die Zahl der Schüler in bretonischsprachigen Grundschulen von weniger als 8.200 auf über 11.000 an. Es ist sehr zu wünschen, dass die alten jakobinischen Gespenster endlich aus den Köpfen der Pariser Zentralregierung (jeglicher politischer Couleur) verschwinden werden. Das Beispiel Bretonisch zeigt ohne Zweifel auf, dass hier nicht eine Sprachgemeinschaft "freiwillig im Namen des Fortschritts" seine Kultur aufgeben, sondern dass ein Staat im Herzen Europas diese Entwicklung absichtlich herbeiführen wollte (und vielleicht auch noch will). Mit der graduell erfolgenden Regionalisierung Frankreichs und seiner immer engeren Einbindung in eine gemeinsame europäische Werte-Gemeinschaft wird es hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis auch in der "Großen Nation" Sprachminderheiten so behandelt und gefördert werden wie in anderen zivilisierten demokratischen Staaten.
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Weitere Informationen
Brezhoneg.info bringt aktuelle Informationen über die Entwicklungen in der Bretagne. Über die weitere Förderung der Sprache wird hoffentlich
Ofis Publik ar Brezhoneg berichten können. Über die neuesten Aktivitäten im Schulbereich kann man sich bei den drei entsprechenden Organisationen
Diwan,
Div Yezh und
Dihun informieren.
Allgemeine kulturelle Entwicklungen können auf der Internet-Seite des
Kuzul ar Brezhoneg (Bretonischer Kultur-Rat) weiterverfolgt werden. Wer sich noch mehr für den Überlebenskampf von Brezhoneg interessiert, dem ist die Internet-Seite des "Internationalen Kommitees für die Verteidigung der Bretonischen Sprache (ICDBL)" ans Herz gelegt. Hier ist auch eine sehr interessante
Studie
veröffentlicht, die mögliche Perspektiven für eine effektive Wiederbelebung der Sprache aufzeigt.
Weitere Tipps für Sprachschüler sind in unserer Rubrik
Lernen enthalten.
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