|
|
|
|
Einführung in die modernen keltischen Sprachen
|
|
|
|
Trotz der vielen kleinen Unterschiede zwischen den einzelnen
Sprachen gibt es doch sehr viele Gemeinsamkeiten, die sowohl auf den sprachlichen Ursprung als
auch auf die gemeinsamen Erfahrungen jahrhundertelanger Unterdrückung und Benachteiligung
zurückgeführt werden können. An dieser Stelle soll ein genereller Überblick
über alle modernen keltischen Idiome gegeben werden; spezielle Informationen werden unter
den individuellen Seiten der einzelnen Sprachen bzw. über interessante Internet-Adressen vermittelt. Es empfiehlt sich auch, zuvor die allgemeine Themenübersicht zu besuchen.
Sprachliches
Obwohl die heute gebräuchlichen keltischen Sprachen auch zur
indogermanischen Sprachfamilie zählen, haben sie natürlich ihre speziellen Eigenheiten und
Regeln. An dieser Stelle sollen nicht linguistische Feinheiten dargelegt werden: Dazu gibt es reichlich
Fachliteratur, aber einige wenige ganz offensichtliche Charakteristika
keltischer Sprachen seien doch erwähnt. Auf den Seiten zu den sechs Einzelsprachen wird dann noch etwas
auf die individuellen Besonderheiten eingegangen. Wesentliche Eigenschaften keltischer Idiome sind u.a. die
folgenden Punkte:
1. Wörter werden je nach grammatikalischem Zusammenhang (Geschlecht, Fall, Anrede usw.) besonders
im Anlaut in
der Aussprache (und damit auch in der Schriftform) verändert. Wo die deutsche Sprache sich in
Endungen ergeht, sind in den keltischen Sprachen die Anfänge am wichtigsten. Diese "Mutation" genannten
Anlaut-Änderungen können je nach dem betroffenen Anlaut-Buchstaben und dem sprachlichen
Zusammenhang (beispielsweise ob im Genitiv, Akkusativ oder im Vokativ stehend) z. B. aus einem
harten b ein weiches w werden lassen oder aus einem k-Laut einen schönen deutschklingenden ch-Laut
erzeugen. Für Sprachschüler mag dieser Umstand manchmal etwas unbequem sein, wenn in einem Wörterverzeichnis
nach einem gehörten Wort gesucht wird und man möglicherweise unter verschiedenen
Anfangsbuchstaben nachsehen muss. Aber dafür gibt es natürlich auch Sprachregeln
(und selbstverständlich wie in jeder Sprache Ausnahmen).
2. Die einfache Wortstellung in einem Satz folgt zumeist dem Grundsatz Verb-Subjekt-Objekt (also:
"Bin ich traurig" statt "Ich bin traurig"). Besonders häufig verwenden die keltischen Sprachen im
Alltagsgebrauch aber auch sehr idiomatische Satzstellungen. Ein sehr einfaches Beispiel ist
"Tà Gaeilge agam" (Ich spreche Irisch-Gälisch), was wortwörtlich übersetzt "Ist Gälisch
an mir" bedeutet.
3. Es gibt in keiner keltischen Sprache ein einfaches Verb "haben, besitzen"!
Vielleicht aufgrund der alten Tradition aus vorchristlicher Zeit stehen Dinge nur für
kurze Zeit (Irisch: Tà agam) oder lebenslang (Irisch: Is leam) zur Verfügung.
Wörtlich übersetzt bedeuten beide Aussagen "Ist an mir" bzw. "Ist mit mir".
4. Es gibt kein einfaches "Ja" oder "Nein". Antworten werde in der Regel mit einem
bestätigendem Satz gegeben: Beispiel (Schottisch-Gälisch): A bheil airgead agad? Tha.
(Ist Geld an Dir? Ist.). Nur in einigen wenigen Zusammenhängen kennen die brythonischen Sprachen kurze
Bejahungen und Verneinungen. Das bretonische "Ya" (Ja) oder das walisische "Nage" (Nein) sind hierfür
Beispiele.
5. Es gibt lediglich zwei grammatikalische Geschlechter (männlich und weiblich). Sie sind
wie in der deutschen Sprache nicht wirklich logisch auf die Hauptwörter verteilt, lässt man einmal
so einfache Beispiele wie Frau oder Mann ausser acht. Auch so unverfängliche
Feststellungen wie "Es ist kalt" werden z. B. im Walisischen ("Mae hi'n oer" = sie ist kalt) oder im
Schottisch-Gälischen ("Tha e fuar" = er ist kalt) weiblich oder männlich dargestellt.
6. Besonders viel Wert wird (vor allem im gälischen Sprachzweig) auf die Feinheiten des Genitiv gelegt. Dies
wird u.a. bei Ortsnamen überdeutlich, was auch normale Reisende mit Blick auf der Landkarte
entdecken werden. Je nach Geschlecht, Plural oder Singular der betroffenen Hauptwörter werden auch
damit zusammenhängende Eigenschaftswörter modifiziert. Ein Beispiel aus Schottland:
Abhainn (=Fluss); mòr (=groß); creag (=Felsen); ruadh (=rot) heisst als
"Großer Fluss eines roten Felsens": Abhainn Mhòr Creige Ruaidh !!!!!
7. Für deutsche
Ohren völlig ungewohnt und sehr beliebt sind der Vokativ und in Ortsnamen sogar der Lokativ.
Wenn beispielsweise
Màiri ("Maa-ri") in Schottland angesprochen wird, heisst es: A Mhàiri und aus dem
Anfangs-M wird ein Anfangs-Mh (ausgesprochen "e Waa-ri", s. Mutationen oben). Bei Seumas (Hans oder James)
wird "a Sheumais" gerufen (ausgesprochen "e Hämisch").
8. Die Laute der keltischen Sprachen sind auch in anderen indogermanischen Sprachen anzutreffen,
sieht man vom notorischen walisischen LL einmal ab. Für Deutschsprachige sind auch die
harten Konsonanten und das ch wie im gälischen "loch", dem walisischen "bach" oder dem bretonischen
"wra'ch" kein Problem. Lediglich einige Nasal- und Nuschellaute in den goidelischen Sprachen
könnten gewöhnungbedürftig sein.
Alles in allem sind alle keltischen Sprachen nicht schwieriger zu erlernen als andere
europäische Sprachen (vergl. separate Seite Lernen). Die Aussprache
walisischer Wörter ist beispielsweise ein Kinderspiel im Vergleich zum Englischen; das Bretonische
kann sich dafür auch nicht annähernd so vieler Ausnahmen "rühmen" wie das Französische.
Tipp: Ein Standardwerk (besonders für Linguisten) über die keltische Sprachfamilie ist jetzt zum Glück
auch im "Taschenbuch-Format" (700 Seiten) erhältlich: The Celtic Languages, Martin J. Ball with James Fife
(Ed.), Routledge Language Family Descriptions, ISBN 0-415-28080-X.
|
|
Selbst im geschäftigen Städtchen Conwy an der
walisischen Nordküste ist die kymrische Sprache allgegenwärtig
Aon, dà, trì, ceithir, còig, sia ...
Aon, dó, trí, ceathair, cúig, sé ...
Un, daa, three, kiare, queig, shey ...
Un, dau, tri, pedwar, pump, chwech ...
Un, deu, try, peswar, pymp, whegh ...
Unan, daou, tri, pevar, pemp, c'hwec'h ...
"Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs ..." in den sechs modernen keltischen Sprachen
|
Geschichte
Wir beschreiben an dieser Stelle nur kurz die Geschehnisse und Entwicklungen
neueren Datums. Ausführungen zur Frühgeschichte der keltischen Sprachen findet der
geneigte Leser im Abschnitt Geschichte auf LINGUAE CELTICAE. Beginnen wir also am Ende
des 19. Jahrhunderts, in dem alle keltischen Länder bereits unter einem starken politischen
und wirtschaftlichen Kuratel ihrer jeweiligen Vormacht standen. Zu diesem Zeitpunkt rüttelte der bisher
schleichende Einfluss der Vormachtskultur an den Grundfesten der keltischen Sprachgebiete. Mit der
Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurde die Ausbildung die schärfste Waffe derjenigen,
die sowieso alle anderen Sprachen vernichten wollten (dies Wort ist leider wörtlich zu nehmen). Es war
schlicht verboten, in der Schule ein Wort Bretonisch oder Gälisch zu sprechen. Systematisch wurde
so Menschen die Anerkennung und Würdigung ihrer eigenen Kultur verweigert, diese psychologische
Gehirnwäsche hatte dann häufig die gewünschte Nachwirkung, dass man späteren Nachkommen
die eigenen schlechten Erfahrungen ersparen wollte und nur noch auf Englisch oder Französisch
mit ihnen redete. Angesichts solcher Praktiken offener Diskriminierung
("Auf den Boden spucken oder Bretonisch sprechen verboten!"), den Umwälzungen infolge zweier Weltkriege
und dem Vordringen moderner Kommunikation ist es in der Tat ein GROSSES WUNDER, dass die keltischen
Sprachen bis heute als lebende Verständigungsmittel überlebt haben. Dies ist wohl
ausschließlich auf den entschiedenen, vielleicht auch starrköpfigen Widerstand
einiger weniger zurückzuführen, die auch in den dunkelsten Stunden in der Mitte
des 20. Jahrhunderts ihre Kultur nicht verleugneten.
Und gerade als eigentlich alles verloren schien,
erblühte die Protestbewegung der 60er und 70er Jahre mit ihrer Rückbesinnung auf eigene
Sprache, Musik und Lebensart. Zentren dieser "Wiederbelebung" waren Wales und die Bretagne, aber
auch in den anderen keltischen Regionen begann das Feuer wieder zu glimmen.
Keltische Volksmusik wurde europaweit populär, Massenproteste
füllten die Straßen von Kemper (Quimper), in Wales wurden englischsprachige Ortschilder
übermalt oder verschwanden spurlos über Nacht. Dieser große Aktionismus hatte vor
allem intensive Auswirkungen auf das Selbstvertrauen jener
Generation, deren Eltern die Weitergabe der Sprache verweigert oder zumindest erschwert hatten.
Die Reaktion der staatlichen Stellen war zuerst überrascht und dann ablehnend zu nennen. Nur
graduell wurden Konzessionen gemacht, um meistens beim "Kleingedruckten" wieder Hinhaltetaktiken
zu erproben. Fortschritte wurden meist dort erzielt, wo politischer Druck durch eine steigende
Wählerzahl für nationale keltische Parteien wie in Wales oder durch rabiaten zivilen
Ungehorsam wie in der Bretagne ausgeübt wurde. Der eigene walisischsprachige Fernsehkanal
Sianel Pedwar Cymru (Kanal Vier Wales) wurde der britischen Premierministerin Margaret Thatcher
letztendlich durch die Drohung abgetrotzt, dass der damalige Präsident von Plaid Cymru (Partei
von Wales) Gwynfor Evans ansonsten in den Hungerstreik treten würde. Aus Furcht vor innenpolitischen Unruhen gab damals die "Eiserne Lady" nach.
Die positive Grundstimmung und der Elan der damaligen Aktivisten ist auch heute noch spürbar
und trifft mittlerweile auf sozusagen permissive Reaktion der Obrigkeit. Es gab sehr
eindrucksvolle Fortschritte im Medien- und Bildungsbereich, aber immer vor dem Hintergrund
der großen Hypothek, dass es lange Zeit dauern würde, bis die Verluste in der
älteren Sprechergeneration durch neue Sprecher keltischer Sprachen ausgeglichen werden könnten.
|
|
Das Schottische Hochland war nicht immer so menschenleer - die
"Highland Clearances" vertrieben nicht nur viele Menschen, sondern mit ihnen eine ganze Kultur
Zurück nach oben |
|
|
|
Gegenwart
Die Gegenwart ist natürlich wie jeher sehr spannend. Wertvolle
Informationen können u.a. unter den Adressen wichtiger
Sprach-Webseiten der keltischen Sprachgebiete eingeholt werden:
Alba (Schottland): Bòrd na Gàidhlig
Alba Nuadh (Neu-Schottland): Comhairle na Gàidhlig, Alba Nuadh
Èire (Irland): Conradh na Gaeilge
Mannin (Insel Man): Gaelg-net
Cymru (Wales): Comisiynydd y Gymraeg
Kernow (Cornwall): Kesva an Taves Kernewek
Breizh (Bretagne): Ofis Publik ar Brezhoneg
Gegenwärtig gibt es in der Bevölkerung aller keltischen Ländern
eine spürbar positive
Grundeinstellung zu ihrer traditionellen Sprache - ein Umstand, der
in der Vergangenheit oft nicht der Fall war. Langsam gibt es sogar staatlicherseits (je nach Land
mehr oder weniger) Initiativen zur Verbesserung der Situation und Anerkennung von Rechten und
Verpflichtungen gegenüber den betroffenen Sprachgemeinschaften. Frankreich spielt dabei
leider immer noch den Part, wenigstens als schlechtes Beispiel zu taugen. Irland und die Insel Man
sind immer noch zögerlich und versuchen mit kleinen Gesten ihr schlechtes Gewissen zu
betäuben. Im "Vereinigten" Königreich haben die politischen Dezentralisierungstendenzen den
Politikern in Wales und Schottland viele Ausreden genommen, selbst etwas zu unternehmen. Die
Menschen in Cornwall wiederum haben alle Hände voll zu tun, nicht in eine gigantische
South-West-Region Englands eingemeindet zu werden. In diesem Zusammenhang kann nicht oft genug
wiederholt und unterstrichen werden: Alle Fortschritte für die keltischen Sprachen in den vergangenen
Jahrzehnten sind nur durch Protest, politischen Druck, ständigen Einsatz von
Eltern und vielen anderen freiwilligen Helfern zustandegekommen! Es gäbe weder
Schulklassen mit keltischen Sprachen als Unterrichtsmedium, noch zweisprachige Straßenschilder,
ganz zu schweigen von Sendungen im Radio oder gar eigene Fernsehsender. |
|
Zurück nach oben |
Zukunft
Die Zukunft liegt nun einmal in den Händen unserer Kinder. Hier seien
die unserer Meinung nach (überlebens-)wichtigen Organisationen in den vier großen
Sprachgemeinschaften genannt, die sich sehr um Vorschul- und Schulbildung in ihrer jeweiligen
keltischen Sprache bemühen:
Breizh (Bretagne): Diwan
Cymru (Wales): Mudiad Ysgolion Meithrin
Èire (Irland): Gaeloideachas
Alba (Schottland): Comunn na Gàidhlig
Der Vorzug der Mehrsprachigkeit in unserer vernetzten Welt wird langsam auch
vielen Menschen in den keltischen Ländern klar - auch der Umstand, eine dritte Sprache viel leichter
erlernen zu können, wenn man sich als kleines Kind bereits "in zwei Welten" zurechtgefunden
hat. Vor dem Hintergrund der fast penetrant zu nennenden Fremdsprachenabstinenz weiter
britischer und französischer Bevölkerungsteile ist es vielleicht kein Wunder, dass
gerade in den keltischen Ländern ein weltoffenes Interesse an anderen Kulturen
häufiger anzutreffen ist als in der englischen bzw. französischen Provinz.
Besonders wichtig (vielleicht am wichtigsten überhaupt) wird die Aufgabe sein, in der
Zukunft die Weitergabe aller keltischer Sprachen als Muttersprache zu gewährleisten bzw.
zahlenmäßig stark zu intensivieren. Die bisherigen Anstrengungen im Vorschul- und
Schulbereich sind aller Ehren wert, sie müssen auch noch stark ausgebaut werden. Aber dies ist
bei weitem noch nicht genug. Es gibt jetzt zum Glück bereits erste Versuche, die
Erfolgsrezepte der Maori und Hawaiianer für den Spracherwerb im Kleinkindalter
zu übernehmen (u.a. durch den Einsatz der Großelterngeneration). So kann sogar
eine Generationenlücke übersprungen werden, die in jener Zeit entstand, als
"Fortschritt" bedeutete, sich bedingungslos zu assimilieren. Besonders gravierend war
dieser Einschnitt in der Zeit um den 2. Weltkrieg in Schottland und der Bretagne.
In Irland und Wales war der Sprachrückgang eher durch
wirtschaftliche Gründe begünstigt, die sowohl Auswanderung als auch Einwanderung
von "English only" Mitmenschen verursachten. In Wales zumindest ist der Anteil der
Kinder, die in walisischsprachigen Familien aufwachsen, schon seit vielen Jahren nicht
mehr rückläufig. Auf der Insel Man wie auch in Cornwall gibt es sogar seit
sehr langer Zeit die ersten Kinder, die wieder zweisprachig aufwachsen. Damit
besteht die Hoffnung, dass auch dort die Verbindung mit der eigenen Geschichte und Kultur
nicht vollständig abreissen wird. |
|
Auch das profane Bankenwesen kann dem Trend nicht ausweichen -
Keltisch ist werbewirksam!
|
Weitere Informationen
Viele der im vorangegangenen Text nur kurz angerissenen Themenbereiche werden auf den individuellen Seiten der sechs modernen keltischen Sprachen
Brezhoneg,
Cymraeg,
Gaeilge,
Gàidhlig,
Gaelg Vanninagh und
Kernewek
vertieft. Die Frühgeschichte der keltischen Kulturen erhellt der Abschnitt
Geschichte und eine Reihe von Möglichkeiten zum Erlernen einer keltischen Sprache vermittelt die Seite Lernen.
|
|
Zurück nach oben |
|
|